US Wahl: Wie man mit weniger als 25% der Stimmen zum Präsident gewählt wird

Die interessante Frage vor dem Wahltag lautet: Welcher Kandidat hat die besten Chancen, zum Präsidenten gewählt zu werden? Und bevor wir über irreführende Prognosen an sich sprechen, müssen wir feststellen, dass viele Nachrichtenquellen und Seiten diese Frage mit dem größten Prognosefehler von allen beantworten: Sie bieten einfach das falsche Diagramm an!

Das falsche Diagramm, oder wie man den künftigen US Präsidenten vor lauter Wählern nicht sieht

Die interessante Frage vor dem US Wahltag am 5. November lautet: Welcher Kandidat hat die besten Chancen, zum Präsidenten gewählt zu werden? Und bevor wir über die irreführende Prognosen an sich sprechen, müssen wir feststellen, dass viele Nachrichtenquellen und Seiten diese Frage mit dem größten Prognosefehler von allen beantworten: Sie bieten einfach das falsche Diagramm an!

US-Wahl Electoral College Erklärung ixtract
Irreführende Kartendarstellung US-Wahl Electoral College Erklärung ixtract

Die obere Grafik ist ein typisches Beispiel. Während die US Präsidentschaftswahl ausschließlich durch das Electoral College und dessen 538 Wahlmänner entschieden wird, sieht man oft eine in den Farben der Republikaner und Demokraten eingefärbte Karte, um den Ausgang der Wahl darzustellen, wie z.B. bei der Bundeszentrale für politische Bildung. Diese zeigt dann das Ergebnis der sogenannten „Public Vote“, also der Wählerstimmen, durch die der Präsident eben gerade nicht ermittelt wird.

Diese Karten zeigen eine vereinfachte Version des Wahlsystems, die für die Interpretation des Wahlergebnisses ungeeignet ist. Die Bedeutung der Wahlmänner geht darin völlig unter, und die Dynamik des Wahlprozesses bleibt unklar.

Zwar sind Karten per se schon durch die unterschiedliche Größe der Länder eher ungeeignet um eine Relation der Stimmen-Verteilungen zu visualisieren. Im Fall der US-Präsidentenwahl aber ganz besonders.

Um besser zu verstehen, warum das so ist, werfen wir einen kurzen Blick auf das US-Wahlsystem: Alle Wahlberechtigten wählen in ihrem jeweiligen Bundesstaat und nur dort. Für jeden Gewinner in einem Bundesstaat (mit Unterschieden nur in Maine und Nebraska) erhält der Kandidat alle Wahlstimmen dieses Bundesstaates („ Der Gewinner bekommt alles“). Das Wahlsystem basiert also gerade nicht auf einer reinen Verhältniswahl, die in vielen Diagrammen fälschlicherweise abgebildet wird. Es basiert auf einer Variante der Direktwahl, auf Ebene der Bundesstaaten.

Der  Präsident wird also bei der US Wahl nur indirekt vom Volk gewählt. Tatsächlich wird er über die Souveränität der einzelnen Bundesstaaten ermittelt (und auch hier weichen die einzelnen Bundesstaaten stark voneinander ab, wie sie diese Souveränität an ihre Wahlmänner delegieren, wie diese also abzustimmen haben, aber darauf gehen wir hier nicht weiter ein). Wichtig ist: es bleibt ein hartnäckig ignorierter Fakt bei der Darstellung der Prognosen zu den US Wahlen 2024 in vielen deutschen Medien.

US-Wahl Electoral College Erklärung ixtract
Ebenfalls verzerrende Darstellung der US-Wahl Electoral College Erklärung ixtract

Man trifft auch auf Versuche die Ländergrößen durch regelmäßige Formen zu »neutralisieren, was die Wahl leider auch nicht besser wiedergibt, da sich die Bevölkerungszahlen ja erheblich unterscheiden. Der Versuch, ein einheitliches Bild zu erzeugen, welches die verschiedenen Staaten „gleich“ darstellt, blendet zumindest die ungefähre Abhängigkeit der Anzahl der Wahlmänner von der Anzahl der Wahlstimmen je Bundesstaat aus.

Die Verteilung der Wahlmänner: Warum der Wahlsieg auf dem Papier täuschen kann

Die Wahl in den USA funktioniert so, dass alle Wahlberechtigten zunächst die Zusammensetzung des Electoral College wählen, d.h. eine bestimmte Anzahl von insgesamt 538 Wahlmännern, die nach einem historisch begründeten Schlüssel auf die einzelnen Bundestaaten bei der US Wahl verteilt werden. Da die Verteilung sich nicht nur an den wahlberechtigten Stimmen orientiert, weicht sie damit bereits grundsätzlich immer von der Verhältniswahl ab.

Die Verteilung der Wahlmänner unter den Bundesstaaten basiert tatsächlich auf historischen, teils politischen Entscheidungen, z.B. darauf, kleine Staaten zahlenmäßig erheblich überzurepräsentieren, um dem Gedanken Rechnung zu tragen, dass die USA eben aus „gleichberechtigten“ Partnern – den selbständigen Bundesstaaten – bestehen und nicht aus föderal nur teilweise unabhängigen Bundesländern. Ein anderer Aspekt ist die Berücksichtigung der Bevölkerungsdichte in jedem Bundesstaat, die ja auch sehr stark schwankt. Ein Wahlmann in einem sparsamer bevölkerten Staat wie Wyoming hat dadurch mehr„Stimmengewicht“als ein Wahlmann in einem bevölkerungsreichen Staat wie Kalifornien.

Über die Zeit wurden diese ursprünglich festgelegten Verhältnisse zwar immer wieder aufgrund sich veränderter Bevölkerungsverteilungen angepasst. Die historisch begründete Verteilung blieb im Grundsatz aber erhalten und bewirkt nun konkret, dass in einem Staat, der sehr viele Wahlmänner stellt, üblicherweise dennoch weniger Wahlmänner vorhanden sind, als der Anteil der Wahlberechtigten eigentlich begründen würde. Bei den meisten Bundesstaaten mit sehr wenigen berechtigten Wählern verhält es sich dann meist umgekehrt. Die Verteilung der Wählerstimmen ist somit nicht direkt proportional zur Bevölkerung eines Staates.

Und selbst Staaten, die ähnlich viele Wahlmänner stellen, können somit eine völlig unterschiedliche Anzahl an Wahlberechtigten aufweisen. Kalifornien, Texas oder Florida z.B. stellen zwar viele Wahlmänner, aber der Wert eines einzelnen Wahlmanns variiert je nach Staat und dessen Bevölkerung.

Das führte unter anderem z.B. dazu, dass Hillary Clinton 2016 gegen Donald Trump verlor, obwohl sie über 2 Millionen mehr Wählerstimmen erhalten hatte.

Diese Diskrepanz im Wahlsystem führt zu einer systematischen Verzerrung der Wahlchancen und das macht es so schwierig, diese anhand einer Karte mehr oder weniger korrekt abzubilden. Die Größen der Bundesstaaten im Verhältnis zu ihrer Wahlmännern müssten also viel eher berücksichtigt werden, als die Flächengröße oder die Wählerstimmen, was in vielen Karten aber entweder nicht richtig dargestellt oder mindestens verschleiert wird.

Wie wird man nun Präsident bei einer US Präsidentschaftswahl mit nur einem Viertel der Wählerstimmen?

Das US-Wahlsystem ist so extrem ausgelegt, dass ein Kandidat bei der öffentlichen Abstimmung einen Rückstand von über 50% aufweisen kann und dennoch in das Amt des US Präsident gewählt werden kann.

Schauen Sie sich die Bilder unten an und stellen Sie sich vor, dass ein Kandidat in 11 der bevölkerungsreichsten Bundesstaaten fast 100 % aller öffentlichen Wahlstimmen erhält, die gleichzeitig mehr als die Hälfte der US-Bevölkerung stellen. In allen anderen Bundesstaaten jedoch nur 49 Prozent. Das bedeutet, dass er das Rennen um die Präsidentschaft verliert.
Trotz eines klaren Vorsprungs in den bevölkerungsreichen Staaten würde der Kandidat nicht genug Wahlmänner erhalten, um das Rennen zu gewinnen. In der Realität führt dies zu einem paradoxen Ergebnis, bei dem ein Kandidat auf Grundlage der absoluten Wählerzahlen als der beliebtere gewählt erscheinen würde, aber aufgrund des Electoral College trotzdem verliert.

Dies ist ein häufig kritisiertes Merkmal des US-Wahlsystems, das immer wieder für Verwirrung sorgt.

Mögliche (wenn auch unwahrscheinliche) Verteilung der Wählerstimmen bei der US-Wahl im Electoral College Erklärung ixtract
Mögliche (wenn auch unwahrscheinliche) Verteilung der Wählerstimmen bei der US-Wahl im Electoral College Erklärung ixtract

Die Verteilung klarer machen: Kartogramme als Lösung

Damit die Verteilung klarer wird, eignet sich ein sogenanntes Kartogramm besser, dessen Form allerdings etwas gewöhnungsbedürftig sein kann. Die Flächengrößen zeigen immerhin die tatsächliche Verteilung der Wahlmänner. In Anlehnung an das oben schon einmal gezeigte Sechseck-Diagramm, wäre auch eine Abwandlung daraus möglich. In beiden Fällen sieht man nun jedenfalls die tatsächliche Gewichtung der verschiedenen Bundesstaaten und wie diese auf die Wahl einwirken. Diese Darstellung lässt sich sehr gut nutzen, um die Unverhältnismäßigkeit des Wahlsystems visuell verständlich zu machen und gleichzeitig die Verortung der Wahlmänner, bezogen auf die geografische Lage der Bundesstaaten in denen sie gewählt werden, aufrecht zu erhalten.

Ein Kartogramm stellt auf einer neuen Ebene dar, wie stark einzelne Bundesstaaten in der Wahl wirklich wiegen, und hilft dabei, das Missverhältnis zwischen der Bevölkerungszahl, -dichte eines Bundesstaates und der Anzahl der Wahlmänner besser zu verstehen. In den bevölkerungsreicheren Staaten gibt es erheblich mehr Wahlmänner, aber in kleineren Staaten ist der Einfluss eines Wahlmanns deutlich höher. So wird die eigentliche Basis der Wahlstimmen für die Wahl des US-Präsidenten endlich sichtbar.

Kartogramm US-Wahl Electoral College Erklärung ixtract
Kartogramm US-Wahl Electoral College Erklärung ixtract
Alternative Darstellung US-Wahl Electoral College Erklärung ixtract
Alternative Darstellung US-Wahl Electoral College Erklärung ixtract

Unwahrscheinliche, aber mögliche Wahlergebnisse

Selbst wenn ein Kandidat in den blauen Bundesstaaten nur 51 % aller Wählerstimmen erhalten würde, hätte er bei den absoluten Wählerstimmen immer noch einen Vorsprung von gut 10 Prozent – und würde natürlich auch dann verlieren, weil er nur 49 % aller Wahlmänner erhalten würde!

Dies ist der entscheidende Punkt: Das wahre „Gewicht“ eines Wählers hängt nicht nur von der Anzahl der abgegebenen Stimmen ab, sondern davon, wie diese Stimmen über das gesamte Land verteilt sind. Ein Kandidat kann somit theoretisch mehr als die Hälfte der Wählerstimmen gewinnen, aber dennoch nicht genügend Wahlmänner haben, um das Wahlsystem zu gewinnen.

Nimmt man nun die ungünstigste, mögliche Verteilung der Stimmen an, so ergibt sich ein Abstand von über 50% weniger Wählerstimmen, mit denen der bei einer Verhältniswahl zurückliegende Kandidat dennoch die US-Wahlen gewinnen würde!

Dieses Missverhältnis stellt die berechtigte Frage, ob ein solches Wahlsystem wirklich noch im Einklang mit den Prinzipien einer Demokratie stehen kann, in der die Mehrheit ja bekanntlich die Entscheidungen trifft.

Lösungen für das Ungleichgewicht: Maine und Nebraska

Das ist also durchaus ein überraschender Ausgang für eine demokratisch beworbene US Wahl, vor allem wenn man bedenkt, dass mit Maine und Nebraska zwei Bundesstaaten bereits längst eine Lösung dieses Problems praktizieren, mit denen eine solche Verzerrung extrem eingegrenzt werden würde: Die Wahlmänner werden dort entsprechend dem Verhältnis bei der Wahl verteilt und eben nicht nach dem Prinzip »The Winner Takes It All«. Das ist möglich, da in der US-Verfassung jeder Bundesstaat seine Wahlen ganz so abhalten kann wie er will. Es gibt dafür keine Vorgaben, wie ein Wahlkollegium genau gestaltet sein muss, und daher haben diese beiden Staaten ein alternatives System eingeführt, um den Einfluss der Wahlmänner stärker an die tatsächliche Wählerstimme anzupassen.

US-Wahl Electoral College Erklärung ixtract
US-Wahl Electoral College Erklärung ixtract

Es gibt eine sehr schöne Animation (realisiert mit D3.js) von Karim Douieb bei der er einen Tweet von Lara Trump zerlegt, indem diese eine Karte der USA zeigt und die Übermacht der Republikaner unter Trump beweisen wollte. Mit seiner Karte sieht man sehr schön, wie sich die geographische Überlegenheit in Luft auflöst, wenn man sie mit der tatsächlichen Stimmenverteilung vergleicht.

Karim Daouieb vs. Lara Trump: Try to impeach this? Challenge accepted!
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